In Kooperation mit der sozialwissenschaftlichen Fachdidaktik der Universität Münster

Ein Praxissemester verbindet die theoretische Ausbildung an der Hochschule mit praktischen Erfahrungen im Berufsleben. Es ist ein fester Bestandteil in anwendungsorientierten Disziplinen wie der Lehramtsausbildung und ist an der Universität Münster im Studienplan fest verankert. Es findet im fortgeschrittenen Studium statt. Während des Praxissemesters werden die Studierenden von Mentoren der Schulen, der Zentren für schulpraktische Lehrerausbildung sowie der Hochschulen begleitet. Ein wichtiger Bestandteil des Praxissemesters ist die Reflexion der Erfahrungen im Rahmen eines Abschlussberichts.

Das Interesse der Studierenden an Forschungsfragen zum „Umgang mit chronisch kranken Kindern und Jugendlichen im Schulalltag“ war groß. Aber Genehmigungen für empirische Studien in Schulen sind nur schwer zu erhalten. Und so konnten lediglich 50 % der interessierten Studierenden ihrem wissenschaftlichen Interesse nachgehen.

Zwei der Studienprojekte werden hier dargestellt.

Wie erleben Lehrkräfte den Umgang mit chronisch kranken Kindern im Schulalltag?

Die schulische Teilhabe von chronisch kranken Kindern wird im Sozialgesetzbuch IX (SGB IX) normiert. Diese Regelungen finden sich insbesondere im Teil 1 des SGB IX (§§ 1–89). Dabei ist die Teilhabe an Bildung in § 112 SGB IX geregelt. Hier wird beschrieben, dass die Leistungen zur Teilhabe auch die schulische Bildung umfassen. Chronisch kranke Kinder, die aufgrund ihrer Erkrankung eine Behinderung oder drohende Behinderung haben, fallen unter diese Regelungen. Das Ziel ist es, ihnen die gleiche Teilhabe am Schulunterricht und an Bildungsangeboten zu ermöglichen wie anderen Kindern, z.B. durch Unterstützung in Form von Integrationshilfen, sonderpädagogischer Förderung oder anderen individuellen Maßnahmen wie der sogenannte „Nachteilsausgleich“. Zusätzlich greifen in der Praxis auch andere Gesetze wie das Sozialgesetzbuch VIII (SGB VIII) oder die Regelungen der einzelnen Bundesländer zu schulischer Inklusion, um eine umfassende schulische Teilhabe sicherzustellen.

Gegenstand des vorliegenden Studienprojekts ist die „Unklarheit“ zwischen Inklusionsanspruch und praktischen Umsetzungsmöglichkeiten.

Inklusion bedeutet, dass alle Schülerinnen und Schüler, unabhängig von ihren individuellen Voraussetzungen, gleichberechtigt am Schulalltag teilnehmen können. Damit ergibt sich als weiteres relevantes Konzept die „Chancengleichheit“. Chronisch kranke Kinder und Jugendliche haben das Recht auf gleiche Bildungschancen. Dies schließt auch das Recht auf „Nachteilsausgleich“ ein.

Der vorliegenden Studie liegt ein quantitatives Forschungsdesign zugrunde, an der 16 Lehrkräfte teilgenommen haben. Gefragt wurde sowohl nach den praktischen Herausforderungen im Schulalltag als auch nach den emotionalen und psychischen Belastungen, die mit der Betreuung von chronisch kranken Schülerinnen und Schülern verbunden sein können.

Die Untersuchung ergab, dass der Umgang mit chronisch kranken Kindern und Jugendlichen für Lehrkräfte eine relevante und präsente Herausforderung darstellt. So gaben 81,3 % der befragten Lehrerinnen und Lehrer an, sehr häufig oder häufig Kontakt zu chronisch erkrankten Schülerinnen und Schülern zu haben.

Die Annahme, dass sich die Lehrerinnen und Lehrer durch den Umgang mit chronisch kranken Kindern und Jugendlichen besonders gestresst fühlen, lässt sich nicht bestätigen. Die Ergebnisse dieser Untersuchung deuten darauf hin, dass die Mehrheit der befragten Lehrkräfte die Belastung durch diese Aufgabe als gering einschätzt. Ein Gleichnis könnte für diesen erstaunlichen Befund eine Erklärung bieten. Es besagt: „Es gibt fünf Finger an einer Hand und jeder ist unterschiedlich“ und verdeutlicht die Idee, dass Vielfalt und Unterschiede normal und wertvoll sind. Dieses Gleichnis wird oft auf Menschen oder Gruppen übertragen: Jeder hat seine eigenen Fähigkeiten, Eigenschaften und Perspektiven. So ist es auch in jeder Schulklasse. Lehrerinnen und Lehrer sind es gewohnt, mit heterogenen Lerngruppen umzugehen.

Gleichwohl führt ein Mangel an Unterstützungsangeboten zu Unzufriedenheiten. 87,5 % der Befragten äußerten sich dahingehend. Die Lehrkräfte sehen große Herausforderungen in der Kommunikation im Schulalltag mit Eltern und medizinischen Fachkräften (12 % der Befragten) sowie im Mangel an Informationen über die spezifischen Krankheiten (9 % der Befragten). Überrascht hat auch das Ergebnis, dass sich 87,5 % der Befragten „weniger gut“ über den Nachteilsausgleich informiert fühlten. Dementsprechend ist die Nutzung des Nachteilsausgleiches auch eher gering. 75,0 % der befragten Lehrerinnen und Lehrer gaben an, den Nachteilsausglich noch nie angewandt zu haben.

Auch wenn das Studienprojekt aufgrund der geringen Datenmengen keine Allgemeingültigkeit besitzt, gibt es einen deutlichen Hinweis darauf, dass es für eine erfolgreiche schulische Inklusion von chronisch kranken Kindern und Jugendlichen in Schulen notwendig ist, dass Lehrkräfte über die notwendigen Kenntnisse verfügen, um die spezifischen Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler zu erkennen. Zudem wird die Dringlichkeit unterstrichen, auf unterstützende Angebote zurückgreifen zu können sowie klare Kommunikationsstrukturen und Informationswege zu etablieren.

Der Umgang mit chronisch kranken Kindern an einer inklusiven [reformpädagogischen] Schule in Münster

In diesem durch Vielfalt und Diversität geprägten Umfeld stellt sich die Frage, wie es diese inklusive Schule leistet, den besonderen Bedürfnissen der Schülerinnen und Schüler gerecht zu werden – welche Maßnahmen und Strategien hat die Schule entwickelt, um den individuellen Bedürfnissen gerecht zu werden?

Für die vorliegende Studie wurde ein qualitatives Forschungsdesign in Form eines Fragebogens mit offenen Fragen für die Mitglieder der Schulleitung entwickelt.

In der reformpädagogischen Schule in Münster wurde ein standardisiertes Verfahren zum Umgang mit chronisch kranken Kindern eingeführt. Diese umfasst eine Fotoübersicht der betroffenen Kinder, sogenannte „Notfallzettel“, regelmäßige Übergabegespräche zwischen den Klassenteams, jährliche Sicherheitsunterweisungen sowie Notfallmappen.

Die Fotoübersicht
Der tägliche Blick auf die Fotoübersicht – ebenso wie die regelmäßigen Schulungen und Übergabegespräche – sensibilisieren die Lehrkräfte für die chronischen Erkrankungen einzelner Schülerinnen und Schüler.

Der „Notfallzettel“
Der Notfallzettel ist wie die „Fotoübersicht“ an zentralen Stellen des Schulgebäudes platziert. Er enthält spezifische Anweisungen für den Umgang mit Notfällen, beispielsweise bei einem akuten Anfall. Die Erstellung und regelmäßige Aktualisierung erfolgt in enger Zusammenarbeit mit den Eltern und dem Schulteam.

Die Übergabegespräche
Diese Gespräche sollen dafür sorgen, dass alle Teammitglieder über die gesundheitlichen Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler informiert sind und Hilfen vereinbaren, wie z.B. flexible Pausenzeiten.

Die Sicherheitsunterweisungen und die regelmäßigen Schulungen
Jährlich stattfindende Sicherheitsunterweisungen halten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Schule auf dem aktuellen Stand.
Zu den regelmäßig stattfindenden Fortbildungen der Lehrerinnen und Lehrer werden auch medizinische Experten eingeladen. In diesem Zusammenhang hat die Schulleitung die Bedeutung der Teamarbeit und der engen Vernetzung aller Beteiligten, einschließlich der Eltern, Ärzte und externen Institutionen wie der Unfallkasse hervorgehoben.

Die Notfallmappen
Die Vertrautheit mit den Notfallmappen wird regelmäßig überprüft.

Medikamente werden zentral und in kleinen Plastikboxen aufbewahrt, um sie im Bedarfsfall, auch bei außerschulischen Aktivitäten, schnell zugänglich zu haben. Die Verantwortung für die Vergabe der Medikamente obliegt der Ersthelferin/dem Ersthelfer. Die dezentrale Struktur der Verantwortung erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass im Notfall unverzüglich und kompetent gehandelt werden kann.

Bestimmungen zum Datenschutz sind bekannt und werden eingehalten.

Das Beispiel der reformpädagogischen Schule in Münster zeigt, dass die Herausforderungen, die sich im Umgang mit chronisch kranken Kindern und Jugendlichen stellen, systematisch und verantwortungsvoll angenommen werden können.

Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages: Beschulung langfristig erkrankter Kinder in Deutschland (PDF)

Planung, Durchführung und Auswertung von kleinen Forschungsprojekten zum Themenfeld „Konzepte zum Umgang mit chronisch kranken Kindern und Jugendlichen an nordrhein-westfälischen Schulen“ im Rahmen des Praxissemesters